Das Wort hören oder die Botschaft hören

Gespräch mit Stefan Berner, Experte für Modellierung und Business Architecture bei foryouandyourcustomers.

Stefan Berner blickt auf eine mehr als 30-jährige Erfahrung als Entwickler, Datenbank-Architekt und Projektmanager zurück. Neben seiner technischen Erfahrung hat er dabei auch die Bedeutung von Kommunikation für den Erfolg von Projekten kennengelernt.

Schlechte Software oder gescheiterte IT-Projekte entstehen seiner Meinung nach seltener aus dem Unvermögen der Entwickler, als aufgrund mangelnden gegenseitigen Verständnisses zwischen Projektteilnehmern, Auftraggebern und Anwendern.

Dieses Unverständnis beruht auf einer unterschiedlichen Deutung von Begriffen und deren Einbettung in einen bestimmten Unternehmenskontext. Dadurch ist der Informationsfluss im Unternehmen gestört oder gar blockiert. Das wiederum führt zu hohen Kosten bei der Entwicklung neuer Software, verzögerter Marktreife und zu einer grossen Frustration bei allen Beteiligten.

Im Interview zeigt Berner auf, wie mittels einer kollektiven Realitäts-Klärung Abhilfe geschaffen werden kann. Der daraus entstehende Erkenntnisgewinn für alle Beteiligten vereinfacht und beschleunigt die Arbeitsprozesse in Unternehmen.

«Wahrnehmung und Realitätsbildung»

Vor dem Interview zunächst ein kleiner Exkurs zu Begrifflichkeit. Unternehmen und Organisationen leben von der Interaktion durch Kommunikation zwischen den Mitarbeitenden. Diese Kommunikation kann nur funktionieren, wenn Wörter und Sätze für alle Individuen weitgehend die gleiche Bedeutung haben. Das ist selbst dann nicht selbstverständlich, wenn alle die gleiche Sprache sprechen, da ihre Wahrnehmung der Welt und von Texten durch ihre persönliche Erfahrung geprägt ist. Jedes Individuum bezeichnet seine individuelle Wahrnehmung als Realität. Bei potenziell unterschiedlichen Abbildungen von Begriffen in die Realität von Einzelnen und verschiedenen Gruppen (mit unterschiedlichem Erfahrungshorizont) sind Missverständnisse geradezu unvermeidlich.

Stefan Berner unterscheidet daher zwischen „persönlicher“ und „kollektiver Realität“. Er gibt dazu ein Beispiel: Der Mitarbeiter einer Eisenbahngesellschaft ist Teil einer „kollektiven Realität“ mit einer eigenen Sprache und Kultur, eigenen Prozessen, Beziehungen, Ausbildungen etc. Innerhalb einer Eisenbahngesellschaft wird man kaum mehr von Zug sprechen, wie das in der Umgangssprache üblich ist. Viel eher wird da zwischen Kurs, Fahrt, Komposition, geplantem Kurs etc. unterschieden. Die persönliche Realität manifestiert sich unter anderem in persönlichen Überzeugungen und Erwartungen. Da diese Überzeugungen und Erwartungen unsere Wahrnehmung beeinflussen, stellen sie starke Quellen von Problemen in der Unternehmenskommunikation dar, die kollektive Realität kann bei zu starken persönlichen Realitäten zerfallen.

Je grösser eine Organisation ist, umso wichtiger ist eine gemeinsame Basis für die Kommunikation im Unternehmenskontext. Der gemeinsam erfahrene Unternehmenskontext erleichtert die Schaffung einer gemeinsamen Grundlage. Basierend auf dieser Einsicht hat Stefan Berner seine Methode der Informationsmodellierung entwickelt. Sie entstand aus seiner Erfahrung mit der technischen Modellierung von Daten und Informationen, genauer gesagt mit Entity-Relationship Modellen.

Natürlich kann ein solches Modell für ein gesamtes Unternehmen so komplex werden, dass es unübersichtlich wird. Daher beschränkt sich Berner auf die Entitäten und Relationen, die für das Zusammenwirken im Unternehmen und für die kollektive Realität wesentlich sind. Diese Beschränkung vermindert Variationen der kollektiven Realität durch persönliche Wahrnehmung.

Berners Methode ist unternehmensweit und Organisationsstrukturen-übergreifend anwendbar. Sie hilft den Menschen, ein digitales Abbild der Realität zu formulieren und für alle Beteiligten verständlich zu machen. Damit legt das Informationsmodell die Grundlage für die Zusammenarbeit und das gemeinsame Verständnis für notwendige Veränderungen im Unternehmen durch den digitalen Wandel.

Im Gegensatz zu mathematischen Entity-Relationship Modellen basiert Berners Modellierung auf Sprache, auf einer einfachen, unternehmensweit verständlichen und akzeptierten Definition von Begriffen und deren Zusammenspiel.

«Der Weg hin zur ‘Kollektiven Realität’»

«Meine Vorgehensweise basiert darauf, in Workshops, durch alle Abteilungen und Ebenen hinweg, Begriffe auf das gemeinsame Verständnis hin zu prüfen und eine gemeinsame Definition festzulegen.

Ich beginne mit den Entscheidern im Unternehmen, mit denen ich die wesentlichen Prozesse der Organisation auf Fakten und Verhaltensweisen der Mitarbeiter durchforste, die gemeinsam verstanden werden müssen und nicht diskutierbar sein dürfen

In den Workshops auf Abteilungsebene schreibt jeder Teilnehmer zunächst seine Realität auf. In den Gruppendiskussionen wird daraus eine gemeinsame Realität erarbeitet und dokumentiert. Diese Dokumentation wird anschliessend für alle Mitarbeitende im Unternehmen zugänglich gemacht,» erläutert Berner.

« Durch meinen beruflichen Werdegang vom Praktikanten zum Programmierer und zur Firmenleitung kann ich mich in die „persönliche Realität“ der Teilnehmer hineindenken. Gezielte Fragestellungen helfen mir, den Einzelnen und seine Position in seiner „kollektiven Realität“ zu verstehen. Selbstverständlich entstehen bei der Annahme einer kollektiven Realität auch Widerstände, wenn Personen und Gruppen eine liebgewonnene Sicht auf „ihre“ Realität aufgeben sollen. Diese Widerstände sind besonders stark in Veränderungsprozessen, wenn eine neue Realität für das gesamte Unternehmen definiert werden soll. Dabei kann meine Autorität in Frage gestellt werden – „da könnte ja jeder kommen“ – das Neue generell abgelehnt werden – „das haben wir noch nie so gemacht“ – oder die Realisierbarkeit angezweifelt werden – „das ist in unserem SAP-System nicht abbildbar“. Ich versuche dabei, die Bedeutung und den Sinn des (neuen) Modells allen Beteiligten klar zu machen. Natürlich hilft letztlich das starke Engagement des Topmanagements bei der Definition des gemeinsamen Modells und vor allem bei seiner Umsetzung im Unternehmen.» erklärt Berner.

«Bei weltweit tätigen Unternehmen gehen wir noch einen Schritt weiter. In der unternehmensweiten kollektiven Realität können in der englischsprachigen Kommunikation Begriffe (Wörter und Definitionen) in der Britischen, US-Amerikanischen Sprache oder im von Nicht-Muttersprachlern gesprochen Business-Englisch verschiedene Bedeutungen haben. Gemeinsam entscheiden wir uns dann für ein Wort oder eine Definition, die in allen Sprachen für Alle zur kollektiven Realität wird.» sagt Berner.

«Die unternehmensweite Umsetzung»

Sobald die kollektive Realität vereinbart ist, wird sie dokumentiert und im Unternehmen umgesetzt. Dabei findet eine Auseinandersetzung mit der neuen sprachlichen, kulturellen, organisatorischen Realität und mit neuen Prozessen statt. Ein Umdenken, das vom Management angefangen, sich durch das gesamte Unternehmen durchzieht.

«Wir formulieren und aktivieren den Kulturwandel zielgruppenspezifisch. Dazu werden «Botschafter» benannt, die über Webcasts oder Einzelgespräche die neue kollektive Realität verbreiten. Ausserdem unterstützen Plakate oder ein Glossar im Unternehmens-Wiki die Verbreitung.» sagt Berner.

«Bei all dem darf man nicht vergessen, dass bei jedem Mitarbeitenden ein Anpassungsprozess zwischen der neuen kollektiven Realität und seiner privaten Realität stattfindet, eine Änderung des „Mindsets“. Das bedeutet, dass die Menschen ihre Komfortzone verlassen und sich mit neuen Verhaltensweisen und alten Gewohnheiten auseinandersetzen müssen. Das ist keine einfache Aufgabe. Auch die klassische Rolle des Vorgesetzten ändert sich hin zu der eines Initiators oder Moderators.» erläutert Berner.

«Erkenntnisgewinn»

«Einige werden sich jetzt fragen, welcher konkrete Gewinn mit dieser Vorgehensweise erreicht wird. Zum Erkenntnisgewinn gehört beispielsweise, dass nach der Einführung einer kollektiven Realität die Gespräche in Meetings viel sachlicher stattfinden. Die allgemein als lästig empfundenen rechthaberischen Diskussionen entfallen. Neue Vorhaben und Entwicklungen werden nicht mehr blockiert.» sagt Berner

«Die für alle gültigen Begriffe, die die neue kollektive Realität beschreiben, vereinfachen die Kommunikation und bringen die Gesprächsinhalte schneller auf den Punkt. Reibungslose Kommunikation beschleunigt Arbeits- und Entwicklungsprozesse erheblich. Zusätzlich wird die sprachliche Kompetenz aller Mitarbeitenden verbessert, was zu einer „positiven Feedback-Loop“ führt. Als weiterer, wichtiger Punkt können diese Modelle der Fachbegriffe direkt als Anforderung für die IT-Umsetzung verwendet werden. Das heisst die Kommunikation zwischen Fachbereichen und IT-Entwicklern wird unmissverständlicher.» erläutert Berner.

Wir danken Stefan Berner für das anregende und aufschlussreiche Gespräch.

Quellen:

Whitepaper zum Informationsmodell: Ein grundlegendes Werkzeug für Führungskräfte im digitalen Wandel, Whitepaper Informationsmodell von Stefan Berner, Jonathan Möller und Stephan Müller am 20. April 2019

Wir analysieren, beraten, konzipieren und begleiten mit einer integralen Sichtweise sowie umfassenden Kenntnissen der digitalen Möglichkeiten. An 14 verschiedenen Standorten werden selbstständig Entscheidungen getroffen. foryouandyourcustomers benötigt darum kein Hauptquartier.

moonen communications

Das Interview führten Hans-Josef Jeanrond und Ursula Moonen.

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